Fußgänger mit Gehhilfen queren die Fahrbahn

Hinweise für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Verkehrssicherheitsarbeit

Zuerst sollte immer wieder das Ziel jedweder Aktivitäten im Verkehrssicherheitsbereich genannt werden: „Die Sicherheit der Verkehrsteilnahme der Senioren betrifft

  • die Verhütung von Unfällen, auch
  • die Vermeidung von Beinaheunfällen sowie
  • die Vermeidung subjektiv beeinträchtigender, beängstigender Situationen im Verkehr.“

Dabei hat sie „einen doppelten Charakter: Zum einen geht es um die Vermeidung von Unfällen, die von anderen verursacht werden und in denen Senioren verletzt werden, zum anderen geht es um die Verhütung von Unfällen, die die Senioren verursachen und in die sie andere Verkehrsteilnehmer verwickeln.“[1]

Einhergehend mit dieser Zielvorgabe gibt es in Deutschland „einen breiten, wenngleich nicht unangefochtenen Konsens: Integration soll vor Selektion gehen. Vorrang haben für uns Maßnahmen, die geeignet sind, Menschen der älteren Generation aktiv am Verkehr teilnehmen zu lassen und ihre Mobilität zu fördern. Nur wo Sicherheit nicht anders gewährleistet werden kann, sollen Maßnahmen der Auswahl oder der Einschränkung der Verkehrsteilnahme greifen.“ Im Sektor erzieherischer und kommunikativer Maßnahmen „bleibt uns im Wesentlichen nur, auf die eigenen Kompetenzen der älteren Menschen zu vertrauen, diese aber dann doch so gezielt wie möglich zu fördern.“[2]

Dabei unterliegt auch die Einschätzung der Verkehrssicherheitsarbeit dem Wandel von gesellschaftlichen Schwerpunktsetzungen (z.B. dem Stellenwert von Lebensqualität, Gesundheit, Umweltschutz, etc.) und diese werden dementsprechend auch kontrovers diskutiert (z.B. Aufrechterhaltung des flüssigen Kraftfahrzeugverkehrs contra Entschleunigung unseres Lebens). Insofern gehen auch die Aktivitäten zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von Senioren manchen Bürgerinnen und Bürgern nicht weit genug, anderen zu weit. Bei einer Analyse von Verkehrssicherheits-Programmen in Deutschland wurde als „besonders kritisch […] angesehen […], dass die Programme nicht generationsübergreifend wirken, dass [sie …] den Schwerpunkt nicht auf die Motivation der Senioren legen und dass [sie …] nicht verhaltensorientiert arbeiten.“[3]

Wer in der Verkehrssicherheitsarbeit tätig ist, wird dagegen spontan möglicherweise auf ein anderes Problem hinweisen, nämlich dass ältere Menschen in doppelter Hinsicht schwer erreichbar sind:

  • Ein Teil von ihnen ist mit seinen vielfältigen Interessen in längeren Zeitabschnitten überall in der Stadt unterwegs. Andere verlassen dagegen durch ihre eingeschränkte Mobilität nur noch selten ihre Wohnung.
  • Darüber hinaus ist das Bewusstsein über die Zusammenhänge zwischen der Verkehrssicherheit und der Lebensqualität häufig nicht ausgeprägt. Es gibt sogar Widerstände gegenüber den in der Verkehrssicherheitsarbeit „eingespielten“ Begrifflichkeiten.

Die schwierige Erreichbarkeit von Senioren ist aber keine „Unzulänglichkeit einer Zielgruppe“, sondern ein Zeichen von Lebenserfahrungen und Selbständigkeit.

Angesicht der Unfallsituationen und der demografischen Entwicklung stellen sich dennoch folgende drei übergreifende Fragen:

  • Wie kann die Kommunikation über diese Sachverhalte verbessert werden?
  • Wie sind die Botschaften zu formulieren und zu gestalten?
  • Wodurch kann das Interesse und die Mitmachbereitschaft der Menschen geweckt werden?

Kurze „Wahrheiten“ oder den „goldenen Weg“ werden Sie nicht erwarten. Es gibt zu diesen Fragestellungen mitunter auch unterschiedliche Sichtweisen oder widersprüchliche Aussagen. Auf dieser Website wurden für Sie aus wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen einige Ansätze für Botschaften mit entsprechenden Hintergrundinformationen (Zitaten) herausgearbeitet. Darüber hinaus wurde versucht, auf der Grundlage der hier behandelten Erkenntnisse sowie der Unfallanalysen Tipps für Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zu formulieren.

 

Die folgenden

sind als Anregungen und Diskussionsgrundlage gedacht und nicht nach ihrer Priorität sortiert:

Blick durch die Windschutzscheibe auf eine Fußgängergruppe

12 Thesen zur Verkehrssicherheitsarbeit

  1. Zielgruppen von Verkehrssicherheits-Botschaften sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Darüber hinaus aber auch Politiker und Verwaltungen des Bundes und der Länder, insbesondere allerdings der Gemeinden und Städte.
  2. Altersangaben - wie z.B. „alle Menschen im Alter von über 65 Jahren“ - ergeben allein noch keine halbwegs gleichartige Zielgruppe: „ältere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer“. Deshalb muss auch in der Verkehrssicherheitsarbeit deutlich differenzierter betrachtet werden, wen man ansprechen und gewinnen möchte.
  3. Breiten- und Individualaufklärung müssen verstärkt ineinander greifen. Die jeweiligen Akteure sollten ihre Beratungsfunktionen gegenseitig sehr ernst nehmen und sich gegebenenfalls unterstützen.
  4. Generationenübergreifende Solidarität ist im Verkehrsbereich möglich. Der öffentliche Straßenraum bietet sogar die besten Chancen für eine Solidarisierung über Altersgrenzen hinweg.
  5. Verbände mit den unterschiedlichsten Arbeitsschwerpunkten müssen für die Verkehrssicherheitsarbeit gewonnen und eingebunden werden. Nur so sind die unterschiedlichen Eigeninteressen darstellbar.
  6. Partizipation der älteren Menschen ist eine Grundvoraussetzung, um sie zur Mitarbeit zu motivieren. Sie muss natürlich auch eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglichen.
  7. Verhaltensorientierung ist in der Verkehrssicherheitsarbeit ein zentraler Anspruch, der allerdings bisher in der Praxis nicht hinreichend ausgefüllt wird. Obwohl oft mit Zeit- und Kosteneinsatz verbunden, sind aber praxisorientierte Bestandteile der Verkehrssicherheitsarbeit für die Zielerreichung unverzichtbar.
  8. Verkehrsmittel sind nicht als „Alternative“ zum Beispiel zum Auto darzustellen. Die Verkehrsmittelwahl muss in der Verkehrssicherheitsarbeit als praxisbezogener Baustein enthalten sein.
  9. Verlangsamung ist ein Ziel einer nachhaltigen Verkehrsstrategie in Städten und nicht nur eine Bezeichnung einer körperlichen Entwicklung von älteren Menschen. Sie sollte deshalb auch als generationsübergreifende Herausforderung in die Verkehrssicherheitsarbeit integriert werden.
  10. Gesundheit und Beweglichkeit zu erhalten sind wesentliche Ziele der älteren Generation. Sie beinhalten wahrscheinlich auch das größte Motivations-Potenzial zur Verminderung von Verkehrsunfällen und Stürzen.
  11. Verkehrstüchtigkeit ist nicht einzuschränken auf die Fragestellung, ob und wann man als Autofahrerin oder Autofahrer den Führerschein abgibt oder sogar abgeben muss. Die Selbstkontrolle ist eine Pflichtaufgabe aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und gehört deshalb auch in jedes Verkehrssicherheitsprogramm.
  12. Evaluation einzelner Verkehrssicherheits-Maßnahmen, -Veranstaltungen oder -Kampagnen ist kaum möglich. Sie müssen eingebettet sein in eine nachhaltige Verkehrsstrategie und nur dann ist auch ein „messbarer“ Erfolg zu erwarten.
Gespräch auf einer Ruhebank

6 Thesen zur Kommunikation mit älteren Menschen

  1. Kommunikation ist in jedweder Form zu fördern. Wer nicht Stimme, Sprache und Gestik regelmäßig einsetzt, wird es immer schwerer haben, die eigene Rolle im Straßenverkehr selbstbewusst wahrzunehmen und sich in Konfliktsituationen zu behaupten.
  2. Lernen möchten viele Menschen bis ins hohe Alter, doch nach Abschluss der Schulzeit möchten nur noch wenige „erzogen“ oder „trainiert“ werden. Vielleicht lässt man sich aber gerne einmal „beraten“.
  3. Begriffe müssen bedacht gewählt werden, um ältere Menschen als Ziel­gruppe ansprechen zu können. Obwohl die Bezeichnungen der hier behandelten Thematik nicht auf Interesse stoßen oder sogar abschrecken, muss man die Handlungsempfehlungen letztlich auch mit Worten benennen können.
  4. Printmedien haben für ältere Menschen (noch) einen sehr hohen Stellenwert. Deshalb sollten die Massen- und auch die kleineren Medien sowie Auslagemöglichkeiten intensiv genutzt werden.
  5. Bilddarstellungen sind mehr als nur Blickfang. Empfohlen werden generationsübergreifende Fotos und Darstellungen.
  6. Internetinformationen werden zunehmend auch von Senioren genutzt und dabei suchen sie vorrangig nach Sach- und Verbraucherinformationen. Das Internet wird also zurzeit eher zu vorsichtig für Verkehrssicherheits-Botschaften eingesetzt.

 

Auf den Seiten 12 Thesen zur Verkehrssicherheitsarbeit und 6 Thesen zur Kommunikation mit älteren Menschen sind die dargestellten Thesen mit weiteren Informationen und Quellen angereichert.

 

 


Ganz sicher gibt es Aspekte, die in dieser Zusammenstellung fehlen. Wenn Sie weitere Hinweise geben möchten oder mit Formulierungen nicht einverstanden sind, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf.

In der Rubrik Sicherheit wird das Verkehrsunfall-Risiko für Senioren beschrieben. Die Verbesserung der Verkehrssicherheit ist in einem hohen Maße von der örtlichen Infrastruktur der Verkehrsflächen und Aufenthaltsräume abhängig. Sie kann durch die Verkehrsmittelwahl und das Verkehrsverhalten beeinflusst werden und ist zudem abhängig von der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer. Auf der Grundlage dieser Hintergrundinformationen wurden beispielhaft für die ältere Generation Tipps für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zusammengestellt.

Im Literatur-Register finden Sie eine Zusammenstellung ausgesuchter Veröffentlichungen zum Themenkomplex.

 


Quellenangaben und Anmerkungen

[1] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast (Hrsg.): Perspektiven der Verkehrssicherheitsarbeit mit Senioren, Teil A: Erster Bericht der Projektgruppe zur Optimierung der Zielgruppenprogramme für die Verkehrsaufklärung von Senioren, Reihe Mensch und Sicherheit, Heft M131, Bergisch Gladbach, 2001, S. 13

[2] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, in: Flade, A., Limbourg, M., Schlag, B. (Hrsg.): Mobilität älterer Menschen, Leske + Budrich, Opladen, 2011, S. 273

[3] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, 2001 a.a.O., S. 16

Verhaltensorientierung