Älterer Mann fährt auf einem Liegerad.
Ein Liegerad mag nicht jedermanns Sache sein. Unabhängig davon können alle Verkehrsteilnehmer durch das Gehen oder Radfahren etwas für ihre Gesundheit tun. (Foto: Monika Sertel / www.pixelio.de)

Das Risiko, im Straßenverkehr schwere Verletzungen zu erleiden oder das Leben zu verlieren liegt bei älteren Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern deutlich über dem der 40- bis 64-Jährigen [1] und nimmt für Senioren mit zunehmendem Alter zu (vgl. Sicherheit). Deshalb geht es in diesem Beitrag um die Fragestellung, auf welchen Ebenen Verkehrssicherheitsarbeit möglich ist und umgesetzt werden sollte.

Die zur Verminderung oder Behebung von Sicherheitsmängeln in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verwendete sogenannte „3-E-Formel: engineering-enforcement-education“ [2] wird im folgendem auf die „Vier E der Verkehrssicherheitsarbeit“ erweitert [3]:

Der Erhalt der Beweglichkeit und Gesundheit durch die Verkehrsteilnehmer selbst, wurde hier nicht als „Maßnahme“ aufgenommen, weil die Bürger allenfalls als Zielgruppe, aber kaum als eigenständig handelnde Wesen betrachtet werden. Das ist möglicherweise ein ernsthaftes Versäumnis bisheriger Verkehrssicherheitsstrategien (vgl. Bewegung und Gesundheit).

Planerische und technische Maßnahmen (engineering)

 

Taschentragende Seniorin passiert ein Cafe in einer Fußgängerzone
Verkehrsberuhigte Bereiche oder Fußgängerzonen lassen gerade auch Senioren zu Fuß sicher und bequem ans Ziel kommen. (Foto: Bernd Herzog-Schlagk)

Verkehrsraumgestaltende Maßnahmen haben in der Regel im positiven und bekanntlich auch im negativen Sinne den dauerhaftesten Einfluss auf die Verkehrssicherheit. So kann der Ausbau einer Straße oder die Verbreiterung der markierten Fahrstreifen Autofahrerinnen und Autofahrer dauerhaft zu einer unangemessen hohen Geschwindigkeit verleiten, die zu Konflikten oder Unfällen führt. Dagegen wird eine weitaus weniger umfassende Maßnahme wie z.B. die Vorziehung des Gehweges bis zum Fahrstreifen (Gehwegvorstreckung, Gehwegnase) dauerhaft den Sichtkontakt zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern und zu Fuß gehenden Menschen verbessern und damit Konflikte oder gar Unfälle vermeiden (siehe Infrastrukturmaßnahmen). Auf dem Gebiet der Straßengestaltungs-Richtlinien, -Empfehlungen und -Merkblätter sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte hinsichtlich der Aufenthaltsqualität und der Verkehrssicherheit gemacht worden, die allerdings in der Praxis nur beim Neu-, Aus- und evtl. Umbau von Straßenabschnitten zum Tragen kommen (vgl. www.geh-recht.info > Planungsgrundlagen).

Technische Maßnahmen können sich ebenfalls in zweierlei Hinsicht auf die Verkehrssicherheit auswirken. So werden für den Stadtverkehr unangemessen leistungsstarke Pkw eben auch gerne unangemessen schnell gefahren; während fußgängergerecht angelegte und geschaltete Lichtsignalanlagen an einem Knotenpunkt mit starkem motorisierten Individualverkehrsaufkommen die Querungsstelle sichern können.

Legislative Maßnahmen, Kontrolle und Überwachung (enforcement)

Der Einfluss der Straßenverkehrs-Gesetzgebung auf die Verkehrssicherheit wird häufig überschätzt, da die Straßenverkehrs-Ordnung StVO vielen Verkehrsteilnehmern nicht bekannt ist und nicht durchgesetzt wird. Dennoch kann auch sie sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. So hat z.B. die Einführung des sogenannten „grünen Blechpfeils“ in die StVO [5], nach dem Autos an Lichtsignalanlagen auch bei Grün für die Fußgänger über die Furt fahren und abbiegen können, insbesondere bei Senioren und Kindern zu einer Verunsicherung geführt (vgl. www.gruenpfeil.de). Dagegen kann die Einführung der Gurt-Pflicht aus der Verkehrssicherheits-Sicht als eindeutig positive Maßnahme angesehen werden. „Eine obligatorische medizinische Untersuchung für ältere Autofahrer könnte einen weiteren Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen leisten.“ [6]

Die Änderungen der Straßenverkehrs-Gesetze und -Verordnungen waren in den letzten Jahrzehnten leider nicht speziell darauf ausgerichtet, die Verkehrssicherheit allgemein oder insbesondere der Senioren zu verbessern (vgl. www.geh-recht.info > Verkehrsrecht). Erreicht wurde durch unermüdliche Lobbyarbeit, dass in der Verwaltungsvorschrift hinter dem Satz „Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten.“ eingefügt wurde: „Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor.“ [7] (vgl. www.geh-recht.info > Verkehrsrecht > StVO-Novelle 2009)

Es gibt kaum einen Lebensbereich der Bürger, in dem die in Deutschland geltenden Gesetze so häufig, so offensichtlich ohne Folgen missachtet werden. „Um zu einer effektiveren Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen zu gelangen, stehen zwei Ansatzpunkte zur Verfügung. Es sind dies die Intensität der Verkehrsüberwachung und die Wirksamkeit der Sanktionen, wobei letztere maßgeblich von ihrer Höhe abhängt.“ [8] So formulierte es das Bundesverkehrsministerium zu einer Novelle zur Erhöhung der Bußgelder und übersah dabei, auch die Vergehen gegenüber Fußgängern und Radfahrern merklich anzuheben (siehe www.geh-recht.info > Verkehrsrecht > http://geh-recht.de/verkehrsrecht/39-verkehrsrecht/verkehrsrecht/160-vr-bussgeldkatalog-verordnung-2007-2012-einfuehrung.html).

Erzieherische und kommunikative Maßnahmen (education)

„Durch Gestaltung, Technik, Regelung und Überwachung lassen sich viele, aber nicht alle Risiken und Gefahren im Straßenverkehr kontrollieren. Aus diesem Grund müssen Menschen lernen, Risiken im Straßenverkehr angemessen einzuschätzen und Gefahrensituationen zu vermeiden oder zu bewältigen.“ [9] Dass dies ein Balanceakt ist, zeigt die folgende Aussage aus der Praxis: „Vorrangiges Ziel der Verkehrssicherheitsberatung ist es, älteren Menschen eine weitgehend ungefährdete Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen, ihnen dabei jedoch auch ihre Eigenverantwortung bewusst zu machen. Keinesfalls darf hierbei eine mangelnde Verkehrstauglichkeit suggeriert werden, die zur Folge hätte, dass sich Senioren in die Immobilität zurückziehen.“ [10]

„Ein großes Problem bei der Umsetzung von pädagogischen Maßnahmen bei älteren Menschen ist die schlechte Erreichbarkeit der Zielgruppe.“ [11] Die schlechte Erreichbarkeit der Senioren, weder über den Kindergarten, die Schule noch über betriebliche Weiterbildung, wird häufig in der Fachliteratur beklagt, bezieht sich aber stets auf die körperliche Erreichbarkeit. Unbeachtet bleibt dabei die Frage, ob Menschen im hohen Alter überhaupt noch über pädagogische Maßnahmen ansprechbar sind. Möglicherweise hören sie sich derartige Vorträge aus anderen Gründen an, wie z.B. den sozialen Kontakten; wehren sich aber innerlich aus ihrer langen Lebenserfahrung heraus gegen Bevormundung.

Deshalb werden für ältere Menschen erlebnispädagogische Ansätze empfohlen [12], die Ansprache z.B. über ihre Enkelkinder [13] oder über Hausärzte [14]. „Wichtig wären Kampagnen, um die älteren Menschen zu sensibilisieren, was sie tun können, um ihre Mobilität (und damit auch ihre Verkehrssicherheit aufrecht zu erhalten, Alternativen aufzubauen, aber auch sich bewusst mit Grenzen der Aufrechterhaltung einzelner Mobilitätsformen auseinander zu setzen.“ [15]

Anreizsysteme, Kosten (encouragement, economy)

„Eine wichtige Rolle im Rahmen der Verkehrssicherheitsarbeit spielen auch ökonomische Faktoren (Kosten-Nutzen-Überlegungen). Mit Hilfe von Anreizen können Menschen zu verkehrssicheren Verhaltensweisen motiviert werden…. Ein preisgünstiges Senioren-Ticket für den öffentlichen Verkehr kann ältere Autofahrer motivieren, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.“ [16] Obwohl auch Bußgelder, Strafen oder gar Führerscheinentzug in diese Kategorie als ein Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit gehören, sind die positiven Anreize zum Umsteigen auf eine besser zu bewältigende Verkehrsteilnahme wirksamer. Nur müssen dann auch die entsprechenden Angebote auf- (z.B. Service-Systeme) oder ausgebaut (z.B. Netz öffentlicher Verkehrsmittel) werden. Ein gutes Beispiel für einen Anreiz, auf Autofahrten auf den gefährlichen Bundesstraßen zu verzichten, wird in Berlin-Brandenburg seit Jahren mit großen Erfolg praktiziert, der Internetservice www.abgefahren-losgewandert.de [17]

 


 

Informationen über die Bedeutung der Verkehrssicherheit für Senioren und das Unfall-Risiko finden Sie unter Sicherheit. Die Verbesserung der Verkehrssicherheit ist in einem hohen Maße von der örtlichen Infrastruktur der Verkehrsflächen und Aufenthaltsräume abhängig. Sie kann durch die Verkehrsmittelwahl und das Verkehrsverhalten beeinflusst werden und ist zudem abhängig von der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer. In der Rubrik Tipps finden Sie eine Zusammenstellung von Hinweisen für die Teilnahme am Straßenverkehr und eine Zusammenstellung ausgesuchter Veröffentlichungen zum Themenkomplex im Literatur-Register.

Unter www.fuss-ev.de > Themen > Senioren zu Fuß finden Sie im Beitrag „Senioren im Verkehr – kein Problem! Die Verkehrssicherheitsarbeit muss in Bewegung kommen“ sieben Thesen des FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland zu einer umfassenderen Betrachtung der Aufgaben der Verkehrssicherheitsarbeit und im Beitrag „Angst ist ein schlechter Wegbereiter“ konkrete Hinweise wie die subjektive Verkehrssicherheit zu erhöhen ist.

 

Quellengaben und Anmerkungen

können sich wiederholen, um Ihnen das Auffinden zu erleichtern:

[1] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009

[2] Hilse, H.G., Schneider, W. (Hrsg.): Verkehrssicherheit. Handbuch zur Entwicklung von Konzepten. Stuttgart 1995

[3] vgl. Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 441 f

[4] Schlag, B., Richter, S.: Internationale Ansätze zur Prävention von Kinderverkehrsunfällen. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 55(4), 2005, S. 182-188

[5] Am 1.3.1994 in die Straßenverkehrs-Ordnung StVO als § 37 aufgenommen

[6] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 442

[7] Da dieser Satz immer wieder zitiert werden sollte - er steht keineswegs an einer zentraler Stelle - hier die Quelle: Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) zu §§ 39 bis 43 Allgemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen Ziffer I., Nummer 2.

[8] Referentenentwurf, Gesetzentwurf der Bundesregierung: Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, Strand 26.06.2007

[9] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 442

[10] Der Polizeipräsident in Berlin: Verkehrsicherheitsberatung für Senioren http://www.berlin.de/polizei/verkehr/liste/archiv/26370/index.html

[11] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 442

[12] Emsbach, M.: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen. In: Flade, S., Limbourg, M., Schlag, B.: Mobilität älterer Menschen, Leske + Budrich, Opladen, 2001, S. 273-284

[13] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 443

[14] z.B. Kocherscheid, K., Rietz, Ch., Poppelreuter, S., Riest, N., Müller, A., Rudinger, G., Tülin, E.: Verkehrssicherheitsbotschaften für Senioren. Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 184, Wirtschaftsverlag NW, Bergisch Gladbach, 2007 oder Henning, J.: Verkehrssicherheitsberatung älterer Verkehrsteilnehmer – Handbuch für Ärzte. Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 189, Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, 2008

[15] Kalbermatten, Urs: Perspektiven älterer Menschen bezüglich Lebensgestaltung und Mobilitätsbedürfnissen, in Monika Tschannen, Ursula Gertsch, Ludo Cebulla (Hrsg.): Mobilität im Alter, Fokus Siedlungs- und Verkehrsplanung, Berner Beiträge zur Gerontologie II, Weißensee Verlag, Berlin 2007

[16] Maria Limbourg, Stefan Matern: Erleben, Verhalten und Sicherheit älterer Menschen im Straßenverkehr, Mobilität und Alter, Band 04, eine Schriftenreihe der Eugen-Otto-Butz-Stiftung, Köln 2009, Kap. 18 Möglichkeiten zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen und zur Verringerung der Unfallrisiken für ältere Menschen, Seite 443

[17] 2009 wurde das Land Brandenburg mit diesem und anderen Projekten als erstes deutsches Bundesland als Mitglied des internationalen Netzwerkes der „Safe Communities“ (Sichere Gemeinden) der Weltgesundheitsorganisation WHO zertifiziert www.gesundheitsplattform.brandenburg.de und 2010 ist das Projekt als modellhaft im „Land der Ideen“ ausgezeichnet worden.