Blick durch die Windschutzscheibe auf eine Fußgängergruppe

mit weiteren Informationen und Quellen

Die folgenden Thesen sind als Anregungen und Diskussionsgrundlage gedacht und nicht nach ihrer Priorität sortiert:

1. Zielgruppen

von Verkehrssicherheits-Botschaften sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Darüber hinaus aber auch Politiker und Verwaltungen des Bundes und der Länder, insbesondere allerdings der Gemeinden und Städte.

„Strategien zur Optimierung der sicheren Verkehrsteilnahme von Senioren müssen generell auf mindestens folgende Zielgruppen ausgerichtet sein:

  • Senioren als Zielgruppe im engeren Sinne,
  • das soziale Umfeld ihrer Verkehrsteilnahme (Zielgruppe der übrigen Verkehrsteilnehmer) und
  • das Sachumfeld ihrer Verkehrsteilnahme (Zielgruppen der für physikalische und normative Rahmenbedingungen Verantwortlichen).“[1]

In dieser Hinsicht haben Politikerinnen und Politiker sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verwaltungen eine Doppelrolle. Sie wirken zum einen aktiv daran mit, die Verkehrssicherheitsarbeit voranzubringen und Verkehrsunfälle zu vermeiden; sie sind aber gleichzeitig auch eine der drei Zielgruppen der Verkehrssicherheitsarbeit für Senioren. Diese beiden Aufgabenstellungen können durchaus zu unterschiedlichen oder gar keinen Handlungsempfehlungen führen, z.B. bei als notwendig erachteten Infrastrukturmaßnahmen, die Haushaltsmittel erforderlich machen würden.

2. Altersangaben

- wie z.B. „alle Menschen im Alter von über 65 Jahren“ - ergeben allein noch keine halbwegs gleichartige Zielgruppe: „ältere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer“. Deshalb muss auch in der Verkehrssicherheitsarbeit deutlich differenzierter betrachtet werden, wen man ansprechen und gewinnen möchte.

Obwohl das jüngere Menschen vielleicht nicht so empfinden, geht die Schere unterschiedlichster Lebensstile mit dem Älterwerden immer weiter auseinander. Die von jungen Leuten empfundenen Gegensätze zu anderen Gruppen (z.B. die Musikausrichtung, die Kleidung, der Handy-Typ, etc.) und die in späteren Jahren hinzukommenden Unterschiede (z.B. Single oder Familie, Wohnsituation, berufliche Anforderungen, etc.) prägen das Verhalten und die Lebensqualität. Sie sind aber in der Wirkung auf den Lebensalltag nicht vergleichbar mit unterschiedlichen körperlichen, seelischen und geistigen Gegebenheiten, die mit dem zunehmenden Alter eine Rolle spielen (z.B. regelmäßige Schmerzen, Verlangsamung des gesamten Tagesablaufes, etc.). „Es ist ein gut belegtes Faktum in der Gerontologie, dass die interindividuellen Differenzen mit steigendem Alter größer werden.“[2]

„Altern ist ein sehr individueller Prozess mit erheblicher Variabilität. Deswegen lassen sich zwischen Personen innerhalb einer Altersgruppe erheblich größere Leistungsunterschiede beobachten als zwischen verschiedenen Altersgruppen. D.h. auch z.B. in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen finden sich Personen, die schlechtere Leistungswerte aufweisen als Ältere, und umgekehrt finden sich in den Jahrgängen der über 65-Jährigen viele, die erheblich bessere Leistungen aufweisen als mancher Jüngere.“[3] Das bedeutet, dass es die „Gruppe der Senioren [zwar in der Statistik], nicht aber als Kollektiv mit typischem relevantem Verhalten gibt.“[4]

Auch die „Verkehrssicherheitsarbeit muss sich daher in ihren konkreten Zielsetzungen auf Zielgruppen mit weit divergierenden Mobilitätsmustern einstellen.“[5] „Es wäre demnach sinnvoll, anstelle von Altersgruppen Leistungsgruppen zu bilden (wenn das möglich wäre) und diese zur Zielgruppe spezifischer Maßnahmen der Verkehrssicherheitsarbeit zu machen.“[6] Deshalb ist die im angelsächsischen Sprachraum benutzte Zielgruppengliederung in „go go“, „slow go“ und „no go“ im Mobilitätsbereich durchaus sinnvoll (vgl. Wer ist eine Seniorin oder ein Senior?).

„Verkehrspädagogische Angebote für ältere Menschen sehen sich vor der Herausforderung, eine neue, junge, weltoffene Generation von Senioren anzusprechen, dabei jedoch die hilfloseren, behinderten, kranken, benachteiligten Menschen im höheren Lebensalter nicht zu vergessen.“[7]

3. Breiten- und Individualaufklärung

müssen verstärkt ineinander greifen. Die jeweiligen Akteure sollten ihre Beratungsfunktionen gegenseitig sehr ernst nehmen und sich gegebenenfalls unterstützen.

In der Verkehrssicherheitsarbeit wird zwischen der Breiten- und der Individualaufklärung deutlich unterschieden. „Beide Blöcke müssen inhaltlich und funktional aufeinander abgestimmt sein. Insbesondere der Bereich der Breitenaufklärung kann als Akquisitionsbasis für den Bereich der Individualaufklärung genutzt werden, denn mit den individuellen Ansätzen kann primär nur ein geringer Teil der Senioren erreicht werden.“[8]

Durch die Individualaufklärung sollen insbesondere die Senioren angesprochen werden, “die besonders gefährdet sind [oder andere gefährden könnten], zum Beispiel ältere Kraftfahrer mit infrage stehender Fahreignung“.[9] Akteure können nahe Angehörige und Freunde sein, die eine Beratung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens empfehlen (Ärztinnen und Ärzte, aber auch Sozial- und Pflegedienste).

„Eine breit ausgerichtete Informationsebene muss sich an die ´noch´ unproblematische Masse richten, die in Zukunft partiell zum komplizierten Einzelfall werden kann. Hier muss das Ziel eine Gefahrensensibilisierung sein. Beispielsweise sollte das Bewusstsein geweckt werden, dass eine rechtzeitige freiwillige Überprüfung des Seh- oder Hörvermögens sinnvoll ist.“[10] Bei der Breitenaufklärung würde „eine Beschränkung auf die persönliche Ansprache von Senioren […] nicht nur die zweite Zielgruppe (übrige Verkehrsteilnehmer) außer Acht lassen, sondern könnte auch der Vielschichtigkeit anzustrebender Ziele nicht gerecht werden.“[11] Akteure dieser Aktivitäten können z.B. Verkehrssicherheits-Moderatorinnen und Moderatoren der Verkehrssicherheitsorganisationen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozial- oder Verkehrsverbänden, aber auch von staatlichen Institutionen sein.

Durch das von der Verkehrslenkung Berlin VLB der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt unterstützte Modellvorhaben „Verkehrssicherheits-Tipps für Senioren mit direkter Ansprache der Zielgruppe 2013“ wird zum Beispiel in Berlin erstmals der Versuch unternommen, die Breitenaufklärung durch Pressearbeit sowie Aushänge und Flyer in Arztpraxen örtlich zumindest mit der Möglichkeit einer Individualaufklärung durch die Ärztin oder den Arzt zu verknüpfen.

4. Generationenübergreifende Solidarität

ist im Verkehrsbereich möglich. Der öffentliche Straßenraum bietet sogar die besten Chancen für eine Solidarisierung über Altersgrenzen hinweg.

Ein „Krieg zwischen den Generationen“, findet im Straßenverkehr offensichtlich nicht statt,[12] weil junge und ältere Menschen z.B. als Fußgänger und Radfahrer subjektiv die gleichen Gefahren wahrnehmen, die z.B. vom Autoverkehr mit unangemessen hohen Geschwindigkeiten ausgehen. Letztlich ist es dem Unfallopfer egal, ob ein jüngerer oder älterer Mensch den Unfall verursacht hat. Konflikte entstehen weniger zwischen Generationen als vielmehr zwischen Menschen mit unterschiedlichen Fortbewegungs-Geschwindigkeiten. Das gegenseitige Verständnis wird gefördert, weil auf der einen Seite noch immer „die Füße im Alter als Verkehrsmittel große Bedeutung erlangen“[13] und auf der anderen Seite insbesondere bei jüngeren Menschen seit Jahren „erste Anzeichen eines Aufbrechens [des autoorientierten] Leitbildes festzustellen“ sind.[14] Eine „generationsübergreifende und interaktive Verkehrssicherheitsarbeit könnte ein Mittel zur Förderung [der allgemeinen Generationensolidarität] sein.“[15]

Fakt ist allerdings: „Altenfreundlicher kann der Verkehr auch durch Verhaltensänderungen der Jüngeren werden.“[16] Dabei ist zu bedenken, dass die notwendige Kommunikation sehr intensiv von den Senioren ausgehen sollte, denn in unserer Gesellschaft herrschen seitens jüngerer Menschen häufig Schüchternheit oder Desinteresse gegenüber älteren Menschen vor. Die Stärkung der Solidarität muss „ein Ziel der Verkehrssicherheitsanstrengungen sein. Andere Verkehrsteilnehmer können lernen, langsame, mangelhaft orientierte und hilflose Senioren wahrzunehmen, zu respektieren und ihnen weiterzuhelfen. […] Ältere Menschen können aber auch untereinander […] hilfreich sein und [lernen] von anderen […] Hilfen […] anzunehmen.“[17]

„Das Ziel der Erhaltung der Mobilität der Senioren lässt sich nicht allein durch die Ansprache der Senioren realisieren, sondern nur im Dialog der Generationen.“[18] „Allerdings ist ein echter generationenübergreifender Dialog über Mobilität und das Miteinander auf der Straße eine Zukunftsaufgabe, nicht [aber eine] bereits etablierte Realität.“[19] Verkehrssicherheits-„Programme, die die Interaktion unterschiedlicher Generationen im Rahmen des Straßenverkehrs zum Thema intergenerativer Arbeit machen wollen, sind weitgehend vorbildlos und bedürfen entsprechend viel Pionierarbeit.“[20]

5. Verbände

mit den unterschiedlichsten Arbeitsschwerpunkten müssen für die Verkehrssicherheitsarbeit gewonnen und eingebunden werden. Nur so sind die unterschiedlichen Eigeninteressen darstellbar.

In der Verkehrssicherheitsarbeit wird immer noch zu wenig beachtet, dass durchaus „Schwellenängste […] gegenüber manchen professionellen Diensten bestehen“, die durch die Einbeziehung von Selbsthilfegruppen, Verbänden und Bürgerinitiativen reduziert werden können.[21] Die meist gefühlsmäßigen Vorbehalte haben einen sachlichen Hintergrund: „Bei der Interessenabwägung wird […] der Staat […] der Sicherheit höheres Gewicht beimessen [Stichworte: unbeliebte Unfallstatistik, gesellschaftliche Kosten, etc.], das Individuum dagegen seiner Mobilität.“ (Stichworte: Lebensqualität, Gesundheit, etc.).[22] Wenn nun aber der Staat als finanzierender Auftraggeber und die Verkehrssicherheitsverbände als Umsetzer der Verkehrssicherheitsarbeit ihre Interessen überbetonen, kam es in den letzten Jahrzehnten zu folgender Reaktion: „Da nun kaum jemand sein Verhalten ohne einsichtigen und zwingenden Grund wird ändern wollen, würde es den Veranstaltungen an Publikum mangeln.“[23]

Der einsichtige Grund kommt leider erst durch einen Unfall und dieser ist unvorhersehbar und im gesamten Lebensablauf in der Regel höchst selten, sozusagen ein „Ausnahmefall“.

Deshalb kann die Verhinderung dieses einen speziellen Unfalles kaum im Vordergrund der Verkehrssicherheitsarbeit stehen. Im Vordergrund muss dagegen stehen, dass ältere Menschen „in der Gesellschaft integriert bleiben oder gegebenenfalls [z.B. nach einer Krankheit] wieder in sie integriert werden.“[24] Diese Aspekte stärker in die Verkehrssicherheitsarbeit einzubringen ist eine Aufgabe von Nichtregierungsorganisationen, die im Seniorenbereich tätig sind.

Verkehrssicherheitsverbünde gibt es in Deutschland in vielen Städten, z.B. die Unterzeichner der Charta der Verkehrssicherheit in Berlin.

6. Partizipation

der älteren Menschen ist eine Grundvoraussetzung, um sie zur Mitarbeit zu motivieren. Sie muss natürlich auch eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen ermöglichen.

„Unabhängig von [anderen] Maßnahmen sollten ältere Menschen verstärkt aufgefordert werden, ihre Interessen hinsichtlich Verkehrssicherheit deutlich zu artikulieren und zu vertreten. Die Möglichkeiten kommunalpolitischer Partizipation müssen erhöht werden. Dazu scheint eine zweigleisige Vorgehensweise geeignet:

  • Zum einen müssen interessierten Senioren kommunalpolitische und verwaltungsgebundene Prozesse näher gebracht werden (Planungs- und Entscheidungsverfahren, Möglichkeiten und Strategien der Bürgerbeteiligung).
  • Zum anderen sind Angebote der Verkehrssicherheitsarbeit zu vermitteln (Wirksamkeit, Richtlinien, Finanzierung).“[25]

7. Verhaltensorientierung

ist in der Verkehrssicherheitsarbeit ein zentraler Anspruch, der allerdings bisher in der Praxis nicht hinreichend ausgefüllt wird. Obwohl oft mit Zeit- und Kosteneinsatz verbunden, sind praxisorientierte Bestandteile der Verkehrssicherheitsarbeit für die Zielerreichung unverzichtbar.

Veranstaltungen waren bisher „im Hinblick auf ihren quantitativen Wirkungsgrad (Erreichen einer nur unbefriedigenden Anzahl an Senioren) sowie auf qualitative Wirkungsaspekte (z.B. unbefriedigende Motivations- und Verhaltensorientierung)“ insgesamt wenig zielführend.[26]

Deshalb wird empfohlen, dass Botschaften „um in einer erlebnisorientierten Gesellschaft zeitgemäß und akzeptabel zu sein, praktische Anteile enthalten [sollten], mit denen das gewünschte Verhalten in der Realität erprobt, erlebt und überprüft werden kann.“[27] Dabei dürften allerdings die Zeiten vorbei sein, in denen Verkehrssicherheits-Trainerinnen oder -Trainer gemeinsam mit den Senioren bei Veranstaltungen mit Farbbändern winken, um die Parole „Bei rot stehen – bei grün gehen“ zu üben. Empfohlen wird dagegen, im Anschluss an eine Veranstaltung „ein Stadtrundgang oder eine Fußgängerrallye“ durchzuführen.[28] „Für ältere Fußgänger können Stadtspaziergänge mit Anleitungen zu einem bewussten und sicherheitsorientierten Verhalten als Fußgänger verbunden werden.“[29]

Seit Jahren wird davon gesprochen, dass die Verkehrssicherheits-Programme „erlebnisnah und verhaltensorientiert“ sein müssen, doch wie die Untersuchung des FUSS e.V. 2011/2012 aufgezeigt hat, gibt es bundesweit nur sehr wenige „Angebote zu praktischen Kompetenztrainings.“[30] (vgl. Angebote).

„Verkehrspädagogische Angebote können weit mehr erreichen als die Kompetenz in der Bedienung von Fahrkartenautomaten und im Lesen von Fahrplänen. Senioren können lernen, Informationsangebote einzufordern und benutzerfreundliche Dienste nachzufragen.“[31] Selbstverständlich ist es korrekt, sich darüber zu beschweren, dass an Haltestellen die Fahrpläne für den Aushang zu klein ausgedruckt wurden, dass die Beleuchtung so aufgestellt wurde, dass die Fahrpläne ab Dämmerlicht nicht mehr zu erkennen sind, usw..

Noch eindringlicher - allerdings in der Vorbereitung auch anspruchsvoller – ist es, ein „Fußverkehrs-Audit für und mit Senioren“[32] nach den in Fachkreisen erarbeiteten Fragestellungen durchzuführen (vgl. www.fussverkehrs-audit.de). Damit würden diese Verkehrsteilnehmer Verständnis für Planungsgrundsätze erwerben, aber gleichzeitig auch in die Lage versetzt werden, ihre Bedürfnisse zukünftig fachgerechter zu formulieren und in die Diskussion einzubringen. In der kritischen Analyse der Verkehrssicherheitsprogramme wird dazu angemerkt, dass „gleichzeitig der Verkehr – nicht zuletzt von den Senioren selbst – auf Hindernisse durchforstet wird, die die Verkehrsteilnahme der Senioren erschweren. […] Die Sicherheitsorientierung der Senioren kann auch beinhalten, dass sich Senioren selbst aktiver in Planungen einbringen, ihren Bedarf deutlicher artikulieren und mit anderen Generationen das Gespräch aufnehmen. […Sie] kann sich darüber hinaus in reflektierter Verkehrsmittelwahl und gezielter Aneignung flexibler Strategien der Verkehrsmittelwahl niederschlagen.“[33]

Sträflich vernachlässigt wurde bisher in der Verkehrssicherheitsarbeit die Berücksichtigung von Service- oder strukturellen Angeboten, bei denen auch gerade ältere Menschen andere Verhaltensweisen oder eine andere Verkehrsmittelwahl praktisch, jederzeit und ohne fremde Hilfe einüben können, ohne eine Verkehrssicherheitsveranstaltung besuchen zu müssen. Berlin bietet für eine sinnvolle Freizeitgestaltung z.B. mit den 20 grünen Hauptwegen® ein 550 Kilometer langes Wegenetz für Fußgänger (vgl. www.gruene-hauptwege-berlin.de) oder im Umland mit den etwa 100 Wander-Bahnhöfen ein derzeit 1300 Kilometer langes Wegesystem für Wanderungen ohne Pkw-Nutzung (vgl. www.wander-bahnhoefe-brandenburg.de).

8. Verkehrsmittel

sind nicht als „Alternative“ zum Beispiel zum Auto darzustellen. Die Verkehrsmittelwahl muss in der Verkehrssicherheitsarbeit als praxisbezogener Baustein enthalten sein.

In der wissenschaftlichen Literatur wird die Wahl des Verkehrsmittels derzeit noch sehr vorsichtig und zurückhaltend behandelt, obwohl sie eine wesentliche Weichenstellung für das Unfallrisiko darstellt. Dazu drei Beispiele:

  • „Die Verkehrsmittelwahl muss […] nicht als naturgegeben angesehen werden. Vielmehr ist die Entscheidung für die Benutzung eines Verkehrsmittels ein Prozess, der im Rahmen von Verkehrsaufklärung mitreflektiert werden kann.“[34]
  • „Das Aufzeigen und ggf. die schrittweise Hinführung zur angemessenen Nutzung alternativer Mobilitätsmöglichkeiten (z.B. öffentlicher Personennahverkehr, Fahrrad, etc.) sollten ebenfalls Teil einer jeden [Verkehrssicherheits-] Maßnahme sein.“[35]
  • „Unter Gesichtspunkten des Risikomanagements muss auch die Verkehrsmittelwahl nicht als ein unantastbares Tabu angesehen werden.“[36]

Hierzu ist anzumerken, dass es Ziel der Verkehrssicherheitsarbeit sein muss, den Personennahverkehr, den Radverkehr und den Fußverkehr (im Zitat oben übrigens als „etc.“ angegeben) so in den Köpfen und in den Tagesablauf zu verankern, dass sie nicht mehr „alternative Mobilitätsmöglichkeiten“ sind. Sie müssen von Kindheit an gleichberechtigt und selbstverständlich zu den auswählbaren Verkehrsmitteln zählen und sogar aus verschiedenen Gründen zur besseren Wahl für die Umwelt, das Klima, die Ressourcen, den Flächenverbrauch etc.. Aber auch allein „angesichts der Verkehrssicherheit gilt es, einer zukünftigen Fixierung älterer Menschen auf das Auto entgegenzuwirken.“[37]

„Ein seniorengerechtes Verkehrssystem muss alle Verkehrsarten mit einbeziehen. Konzepte der Aufrechterhaltung von Mobilität im Alter müssen auf Integration der Senioren in ein attraktives, nachhaltiges Verkehrssystem setzen. Die Flexibilität bei der Verkehrsmittelwahl älterer Verkehrsteilnehmer muss gefördert werden.“[38] „Die öffentlichen Verkehrsangebote zu nutzen will jedoch so frühzeitig gelernt sein, dass in hohem Alter noch ein flexibler Gebrauch davon gemacht werden kann.“[39]

Mittlerweile vertreten Verkehrssicherheitsexperten die Auffassung, „dass außer der Sicherheit und der Aufrechterhaltung der Mobilität im Seniorenalter auch die beiden weiteren (und neuen) Ziele der Sozialverträglichkeit und der Nachhaltigkeit der Mobilität im Seniorenalter in den Zielkatalog“ der Verkehrssicherheitsarbeit aufzunehmen sind.[40]

9. Verlangsamung

ist ein Ziel einer nachhaltigen Verkehrsstrategie in Städten und nicht nur eine Bezeichnung einer körperlichen Entwicklung von älteren Menschen. Sie sollte deshalb auch als generationsübergreifende Herausforderung in die Verkehrssicherheitsarbeit integriert werden.

In der Verkehrssicherheitsarbeit wird es häufig als ein Problem herausgestellt, dass der Verkehr immer schneller wird, „während das Seniorenalter mit einer Verlangsamung der Handlungsausführung korreliert.“[41] Hervorgehoben werden die „erheblichen Geschwindigkeitsdifferenzen“, aber auch die großen „Risiken der beschleunigten Fortbewegung.“[42] Deshalb sollen sich ältere Menschen auch mit der „allgemeine[n] Beschleunigung und Intensivierung des Verkehrs […] auseinander setzen“[43] Diese Aussagen sind als Analyse korrekt, als Aufforderung zum Handeln allerdings zu kurz gegriffen.

Die Probleme mit den Geschwindigkeits-Differenzen sind generationsübergreifend in erster Linie natürlich abhängig von der Wahl des Verkehrsmittels. Zu hohe Geschwindigkeiten überfordern nicht nur diejenigen, die davon betroffen sind, sondern auch diejenigen, die sie erzeugen. Der Unterschied besteht darin, dass die einen die Bedrohung permanent wahrnehmen und die anderen häufig erst nach einem Unfall merken, dass diese Geschwindigkeit in der Verkehrssituation nicht angemessen war. Eine unangemessene Geschwindigkeit ist seit Jahrzehnten in Deutschland die Unfallursache Nr. 1. Fakt ist, dass der motorisierte Individualverkehr MIV unabhängig von der demografischen Entwicklung für alle Menschen zu schnell ist. Möglicherweise wird es sich demnächst in den Unfallstatistiken wiederspiegeln, dass auch die Geschwindigkeiten von Pedelecs oder Elektrofahrrädern für manche Menschen zu schnell sind.

Die Diskussion über die Einführung von Tempo 30 in europäischen Städten ist nicht aus der Diskussion über die Verkehrssicherheit der Senioren hervorgegangen. Sie bezieht ältere Menschen als eine der Hauptbetroffenen-Gruppen mit ein, wird allerdings bisher hauptsächlich von der jüngeren Generation getragen. Erfahrung bedeutet auch Verantwortung. Die Senioren wissen um die Probleme der zu großen Geschwindigkeits-Differenzen und deshalb sind sie zu ermuntern, an der Entschleunigung des Straßenverkehrs mitzuwirken (vgl. www.30kmh.de).

10. Gesundheit und Beweglichkeit

zu erhalten sind wesentliche Ziele der älteren Generation. Sie beinhalten wahrscheinlich auch das größte Motivations-Potenzial zur Verminderung von Verkehrsunfällen und Stürzen.

Wesentlich ist, dass die „Sicherheitsziele mit anderen Lebenszielen der Senioren [z.B. dem Erhalt der Gesundheit und der Mobilität] in Verbindung gebracht werden.“[44] (vgl. Bewegung und Gesundheit).

11. Verkehrstüchtigkeit

ist nicht einzuschränken auf die Fragestellung, ob und wann man als Autofahrerin oder Autofahrer den Führerschein abgibt oder sogar abgeben muss. Die Selbstkontrolle ist eine Pflichtaufgabe aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und gehört deshalb auch in jedes Verkehrssicherheitsprogramm.

Die bisherige gesellschaftliche Festlegung auf Eigenverantwortlichkeit hat immer dann zu einem öffentlichen Aufschrei geführt, wenn darüber diskutiert wurde, ob allein das Alter eines Menschen zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit führen könnte. Das ist verständlich, denn eine kontinuierliche Überprüfung der Kenntnisse und des Fahrverhaltens anstatt eines lebenslangen Führerscheines kann nur eine altersunabhängige Routine darstellen. In allen Generationen gibt es eine Gruppe, „die sich vielleicht mehr zutraut als ihr und Dritten zuträglich ist, bei der mindestens über die Art der Teilnahme am Verkehr – z.B. mit dem Hausarzt – gesprochen werden sollte.“[45]

So ganz freiwillig ist eine Selbstprüfung aufgrund der großen Gefahrenlage aber nicht: „Ein Kraftfahrer, der bei gewissenhafter Selbstprüfung altersbedingte Auffälligkeiten erkennt und erkennen muss, die ihn zu Zweifeln an der Gewährleistung seiner Fahrtüchtigkeit veranlassen müssen, ist verpflichtet, sich – ggf. unter Hinzuziehung eines Arztes – vor Antritt einer Fahrt zu vergewissern, ob er eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit noch durch Erfahrung, Routine und Fahrverhalten auszugleichen vermag.“[46] „So kann etwa eine Schwächung durch Krankheit Veranlassung zu einer besonders kritischen Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle geben. Dasselbe gilt für ein höheres Alter.“[47] „Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 20.10.1987 die Pflicht jedes Kraftfahrers, besonders aber des älteren Kraftfahrers, zur kritischen Selbstprüfung seiner Fahreignung und Fahrtauglichkeit vor jeder Fahrt herausgearbeitet.“[48]

“Verkehrssicherheitsarbeit kann [muss!] der Gruppe der Senioren die Bedeutung und das Erfordernis der Selbstprüfung nahe bringen und unterstützende Informationsquellen – nicht zuletzt den ärztlichen Rat – aufzeigen.“[49] Dabei muss der Schwerpunkt darauf gelegt werden, „dass ältere Menschen ihr eigenes Verhalten im Straßenverkehr überdenken und eingefahrene Verhaltensweisen überprüfen“ lernen.[50] Die Verantwortung für die mit dem eigenen Verhalten zusammenhängenden Auswirkungen für die eigene Gesundheit und für die der anderen Menschen ist hervorzuheben. Selbstverständlich muss möglichst praxisnah herausgearbeitet werden, dass „die altersbedingten Schwächen der Senioren, insbesondere motorische, sensorische und reizverarbeitende Defizite, durch kompensatorische Verhaltensstrategien überbrückt werden [können].

  • Teils muss gelernt werden, kritische Situationen zu vermeiden und zu umgehen, […]
  • teils müssen neue alternative Verhaltensweisen gefunden werden und an die Stelle von bisher gewohnten treten.“[51]

Die Pflicht zur Selbstprüfung wird zwar immer wieder auf die motorisierte Verkehrsteilnahme bezogen, trifft aber auf alle Verkehrsteilnehmer und auch unabhängig vom Alter zu. Nun geht allerdings von Fußgängerinnen und Fußgängern sowie Radfahrerinnen und Radfahrern deutlich weniger Gefahr aus für die Verkehrssicherheit der anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Dennoch sollte auch dieses Thema angesprochen werden (vgl. dazu die Tipps für Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer).

12. Evaluation

einzelner Verkehrssicherheits-Maßnahmen, -Veranstaltungen oder -Kampagnen ist kaum möglich. Sie müssen eingebettet sein in eine nachhaltige Verkehrsstrategie und nur dann ist auch ein „messbarer“ Erfolg zu erwarten.

Erstaunlicherweise wird bei dieser doch insgesamt recht kostenintensiven Verkehrssicherheitsarbeit des Staates und seiner Trägerverbände der Begriff Evaluation nicht besonders hoch gehängt, der im sonstigen Förderbereich aufgrund der nicht erfüllbaren Ansprüche häufig zu Ablehnungen führt (z.B. selbst bei überschaubaren Umweltprojekten die dadurch erreichbare CO2-Einsparung). Man gibt zu, dass der Zusammenhang von Verkehrssicherheitsprogrammen und einer Abnahme der Verkehrsunfälle kaum herzustellen ist: „Generell ist – unabhängig von den jeweiligen Maßnahmen und ihrem Spektrum – für die Aufstellung der Ziele und deren Evaluation zu bedenken, dass eingeschliffene Kognitions- und Verhaltensmuster weder beim Individuum noch bei der Gesamtzielgruppe binnen kurzer Zeit zu verändern sind; das Erreichen der angestrebten Ziele ist insofern als längerfristige Wirkung aufzufassen und nur als solche – unter der Voraussetzung konkret operationalisierter Ziele und Kriterien – zu testen.“[52] Oder kürzer: „Von Erfolg im Sinne messbarer Wirkung bzw. – im Fall der Verkehrsaufklärung – von tatsächlicher Unfallreduktion zu sprechen, wäre sicherlich vermessen.“[53]

 

 


Ganz sicher gibt es Aspekte, die in dieser Zusammenstellung fehlen. Wenn Sie weitere Hinweise geben möchten oder mit Formulierungen nicht einverstanden sind, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf.

In der Rubrik Sicherheit wird das Verkehrsunfall-Risiko für Senioren beschrieben. Die Verbesserung der Verkehrssicherheit ist in einem hohen Maße von der örtlichen Infrastruktur der Verkehrsflächen und Aufenthaltsräume abhängig. Sie kann durch die Verkehrsmittelwahl und das Verkehrsverhalten beeinflusst werden und ist zudem abhängig von der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer. Auf der Grundlage dieser Hintergrundinformationen wurden beispielhaft für die ältere Generation Tipps für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zusammengestellt.

Im Literatur-Register finden Sie eine Zusammenstellung ausgesuchter Veröffentlichungen zum Themenkomplex.

 


Quellenangaben und Anmerkungen

können sich wiederholen, um Ihnen das Auffinden zu erleichtern.

[1] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast (Hrsg.): Perspektiven der Verkehrssicherheitsarbeit mit Senioren, Teil A: Erster Bericht der Projektgruppe zur Optimierung der Zielgruppenprogramme für die Verkehrsaufklärung von Senioren, Reihe Mensch und Sicherheit, Heft M131, Bergisch Gladbach, 2001, S.47,48

[2] ebenda, S. 37

[3] Oswald, W.D.: Ältere Autofahrer: Täter oder Opfer? In: Kaiser, H.J., Oswald, W.D., (Ed.), Altern und Autofahren, Bern, S. 19. Aus Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 37

[4] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 21

[5] ebenda, S.12

[6] ebenda, S. 18

[7] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, in: Flade, A., Limbourg, M., Schlag, B. (Hrsg.): Mobilität älterer Menschen, Leske + Budrich, Opladen, 2011, S. 275

[8] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 70

[9] ebenda, S. 17

[10] ebenda, S. 31

[11] ebenda, S. 48

[12] ebenda, S. 31

[13] ebenda, S. 84

[14] ebenda, S. 85

[15] ebenda, S. 41

[16] Tränkle, U.: Autofahren im Alter ein Problem? In: Autofahren im Alter, Mensch Fahrzeug Umwelt, Bd. 30, Köln, 1994, S.11-18. Aus Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 93

[17] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S.14

[18] ebenda, S. 18

[19] ebenda, S. 31

[20] ebenda, S. 36

[21] ebenda, S. 25

[22] ebenda, S. 18

[23] ebenda, S. 26

[24] ebenda, S. 17

[25] ebenda, S. 92

[26] ebenda, S.48

[27] ebenda, S. 17

[28] ebenda, S. 17

[29] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O., S. 278

[30] ebenda, S. 274

[31] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O. S. 275

[32] vgl. Schlansky, A.: Wege der Älteren in der Stadt, Beispiel Bremen, FUSS e.V. (Hrsg.), Bremen, 2005

[33] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 18

[34] ebenda, S. 14

[35] ebenda, S. 47

[36] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O., S. 276

[37] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 85

[38] ebenda, S. 85

[39] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O., S. 277

[40] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 29

[41] ebenda, S. 12

[42] ebenda, S. 29

[43] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O., S. 274

[44] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 13

[45] ebenda, S. 25

[46] Bundesgerichtshof: Urteil VIZR 280/86 vom 20.10.1987. Aus Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 45

[47] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, 2001, a.a.O., S. 45

[48] Emsbach, Michael: Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen, 2011, a.a.O., S. 276

[49] Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen bast, Heft M131, a.a.O., S. 13

[50] ebenda, S. 13

[51] ebenda, S.13

[52] ebenda, S. 69

[53] ebenda, S. 67